„Hör auf zu heulen“ – Warum das Weinen der Kinder so schlecht auszuhalten ist

„Lachen kommt von selbst, weinen auch.“ -Jüdisches Sprichwort-

Ich bin ehrlich. In diesem Beitrag geht es gar nicht um dein Kind. Es geht um dich selbst und darum, wie sehr du deine eigenen Gefühle lebst. Daraus erschließt sich, wie so oft, der Grund, weshalb wir mit bestimmten Verhaltensweisen unserer Kinder nicht gut klarkommen. Und dazu gehört oftmals das Weinen, Heulen, Flennen.

Irgendwie scheint es so, als würden wir alles nur Erdenkliche tun, damit die Kids gut drauf sind, um nicht so einen Heulanfall zustande kommen zu lassen. Aber warum ist das so? Warum neigen wir dazu alles, was sich schlecht anfühlt weg drücken zu wollen? Klar, auf den ersten Blick habe ich mir die Antwort gerade selbst gegeben. Es fühlt sich scheiße an. Wer mag schon schlechte Gefühle?

Die Sache ist die, Gefühle, die wir als schlecht empfinden gehören im Leben dazu. Es gibt nicht immer nur Friede, Freude Eierkuchen. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen und allen Lagen dazwischen. Das Leben besteht aus zwei Polaritäten, die jedoch untrennbar zusammengehören. Schwarz und Weiß. Licht und Schatten. Hoch und Tief. Gut und Böse. Du verstehst, was ich meine.

Als Kind war es normal Gefühle zuzulassen. Wir freuten uns und wir haben es gezeigt. Juchzen, lachen, strahlen, all das, was wir an unseren Kindern so lieben. Was wäre Weihnachten ohne diese leuchtenden Kinderaugen, die noch felsenfest an das Christkind oder den Weihnachtsmann glauben? Dieser lebendige Funke voller Hoffnung und Träume. Dazu gehören jedoch auch die negativen Gefühle, die Kinder leben. Ein Kind fällt hin, weint und sieht im nächsten Augenblick etwas Schönes und hat den Schmerz schon wieder fast vergessen.

Wenn ein Kind traurig ist, dann oftmals mit vollem Körpereinsatz. Die gesamte Körperhaltung spricht von Trauer. Die Schultern hängen, die Körperhaltung ist eingefallen, leicht nach vorne gebeugt und sowohl die Seele als auch der Körper sind voll im Gefühl. Die Trauer darf als Emotion durch den Körper fließen. Im Übrigen Emotion im englischen „emotion“ energy in motion (Energie in Bewegung). Ein Gefühl, wenn wir es zulassen bleibt lediglich höchstens 90 Sekunden wirklich fühlbar im Körper. Wenn es fließen darf und wir nicht daran festhalten, dann ist es recht schnell vorüber.

Wenn wir es denn zulassen würden. Und nun kommen wir zum Kreislauf, den wir langsam mal durchbrechen sollten. Unsere Kinder lassen diese Gefühle so lange zu, bis wir ihnen sagen, dass sie aufhören sollen. Wir bemühen uns, dass wir das Kind schnell ablenken, auf andere Gedanken bringen, es mit Süßem trösten oder anderweitig dafür sorgen, dass dieses Gefühl ganz schnell wieder verschwindet und diese Sirene aufhört.

Du kannst dich vielleicht nicht erinnern, aber du wurdest als Kind auch immer wieder dazu aufgerufen, deine Wut, deine Trauer, deine gesamte Bandbreite an Emotionen hinunterschlucken und nicht öffentlich zu zeigen. „Stell dich nicht so an.“ „Hör auf zu heulen.“ „Du hast doch gar keinen Grund zum Weinen.“ All diese Sätze hast du so oder ähnlich gehört. Gefühle zuzulassen und zu leben wurde uns abtrainiert. Wir haben den Umgang mit negativen Gefühlen kaum beigebracht bekommen. Unsere Väter haben sich bemüht keine schwachen Momente zu zeigen, damit sie als stark und voller Fassung ihren Mann standen. Wenn wir denn einen Vater in unserem Leben hatten.

Die Mütter haben sich oftmals lieber zurückgezogen und ihre Tränen hinuntergeschluckt, damit wir nicht mit bekommen, dass es ihnen schlecht geht. Wenn meine Mama mal geweint hat, fühlte ich mich peinlich berührt, weil es so unfassbar ungewohnt und fremd war, sie weinen zu sehen. Noch heute bittet sie sofort um Entschuldigung, wenn sie mal eine Träne vergießt

Es wurde uns nicht vorgelebt, in einem guten Rahmen mit unseren Gefühlen umzugehen. Teilweise war es sicherer sich von den Gefühlen zu verabschieden unserem Innenleben keine Beachtung zu schenken und lieber unserem Verstand zu vertrauen. Rational denkend und klar. Leider spielt uns der Verstand oftmals einen Streich, aber dazu an anderer Stelle mehr. Jetzt geht es um den Umgang mit den negativen Gefühlen.

Diese eigene Abspaltung an die eigenen negativen Gefühle führt nun dazu, dass wir es nur schlecht aushalten, wenn unsere Kinder in Tränen ausbrechen. Wir werden an unseren eigenen Schmerz erinnert, den wir nicht leben durften. Auch wenn die ein oder andere, die altbekannten Sätze nicht mehr selbst sagt, so wird dennoch versucht all das Weinen und den Unmut schnellstmöglich loszuwerden. Wieder andere verwenden noch die Sätze, die wir selbst so oft gehört haben. Und ja selbst im Kindergarten habe ich diesen Satz „Es gibt doch gerade keinen Grund zu weinen“, bereits gehört. Und dies noch nicht mal böswillig oder genervt.

Ich konnte es lange Zeit auch nicht ertragen, wenn meine Mädchen geweint haben. Ich wollte es nicht hören und habe viel dafür getan, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Oftmals bekommen Kinder so ihren Willen durchgesetzt, auch an Stellen, wo eine andere Entscheidung vielleicht besser gewesen wäre. Hauptsache sie fangen nicht an zu heulen.

Als ich erkannt habe, dass ich mir selbst lange Zeit verboten habe, negative Emotionen zu durchfühlen, war mir klar, dass diese Gefühle nun Raum finden mussten. Und so begann ich nach und nach diese Gefühle zuzulassen. Die Sache ist nur die, je länger und intensiver du deine Emotionen verborgen und weggedrückt hast, umso mehr an Energie steckt in deinem Körper fest und wartet darauf endlich gefühlt zu werden.

Lustig war etwas anderes, aber es war notwendig. Ich habe gelernt, dass es okay ist vor den Kindern zu weinen und ihnen gleichzeitig zu zeigen, wie ich mich selbst wieder reguliere. Ich habe mir selbst die Erlaubnis gegeben zu fühlen und ihnen damit ebenso diese Erlaubnis gegeben. Fangen wir sofort an zu weinen, wenn uns danach ist? Nein, natürlich bleiben die Grenzen und die Hemmungen, so dass wir uns in der Öffentlichkeit NICHT wie in der Trotzphase auf den Boden werfen und los brüllen. Aber in unserem geschützten Rahmen wird geweint und getobt, wenn uns danach ist.

Wenn du erneut gelernt hast, dass es okay ist zu fühlen und dir das Fühlen auch erlaubst, wirst du irgendwann fest stellen, dass es weniger wird. Wenn all das Unterdrückte endlich nach draußen durfte und du gelernt hast, dass heutige Situationen oftmals alte Programme und unterdrückten Gefühle triggern, wenn du gelernt hast, diese Programme umzuschreiben und alte Verletzungen geheilt hast, dann kommst du irgendwann in einen inneren Frieden, in dem du nicht mehr oft das Bedürfnis hast zu weinen, weil es dir schlecht geht.

Es ist auch hier, wie es immer ist. Du bist in deinem Sein, das Vorbild wie man mit Gefühlen umgeht. Und demnach darfst du dich fragen, ob du wirklich willst, dass deine Kinder lernen ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken, um einfach nur zu funktionieren und wir damit das jetzige Gesellschaftsbild füttern. Oder ob du so mutig bist und in deine Schattenaspekte eintauchst, dich mit deinen eigenen Gefühlen auseinandersetzt, sie da sein lässt und den Umgang mit ihnen lernst. Und damit deinen Kindern vorlebst, dass es nicht ums Funktionieren geht, sondern um echtes Miteinander. Eine Gesellschaft in der es okay ist, auch mal schwach zu sein, oder traurig, oder wütend und dass diese Gefühle da sein dürfen und dann auch wieder verschwinden. Meist so schnell wie sie gekommen sind.

Alle Gefühle dürfen da sein. Immer. Auch wenn wir den Grund für das Weinen der Kinder oft nicht nachvollziehen können, aber unsere Kinder haben ihren ganz eigenen Grund gerade traurig, wütend, verzweifelt zu sein. Gerade nach meiner Trennung von dem Vater meiner Kinder, gab es sehr viele Umbrüche im Leben meiner kleinen Jules. Und dies sehr schnell hintereinander. Die Trennung als solche, der Verkauf des Hauses, ihres zu Hauses, die Einschulung und damit ein rundum neuer Lebensabschnitt. Nach ca 6 Wochen brach sie weinend zusammen. Alles, was sie bis dahin mit sich herum getragen hatte, brach aus ihr heraus. Du kannst dir vorstellen, dass dieser Zusammenbruch nicht mal eben mit drei Tränen gelebt wurde.

Sie tobte, weinte, schrie und riss Poster von der Wand. Ich ließ sie. Ich saß im Nebenzimmer und ließ sie einfach all das aus sich heraus brechen, was in ihr war. Und erst als sie völlig leer zu sein schien, kam sie heraus und ich durfte sie in den Arm nehmen und trösten und wir konnten über all die Veränderungen noch einmal sprechen. Und ja es ist mir schwer gefallen und gleichzeitig wusste ich, wie reinigend und gut dieser Ausbruch für ihre psychische Entwicklung war.

Jules hatte mittlerweile von mir abgucken können, wie ich mit meinen heftigen Emotionen umgegangen war und sie wusste, dass es mir danach jedes mal wieder gut ging. Ich habe mein Verhalten mit den Kindern jedes Mal kindgerecht reflektiert und ihnen gesagt, wie wichtig das Leben aller Emotionen ist. Du kannst im übrigen auch nur deine positiven Gefühle feiern, wenn du auch die negativen auslebst. Daher gibt es so viele Menschen da draußen, die scheinbar emotional abgestorben sind. Einfach, weil sie sich so sehr von den negativen Emotionen entfernt haben, dass sie direkt ganz vergessen haben wie fühlen geht und so wandeln sie umher und versuchen diese innere Leere zu füllen, die kein Denken der Welt füllen kann.

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